Samstag 20 April 2024

5 Stunden - Frage

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  • Seit Wochen geistert mir eine Frage durch den Kopf:
    Gesetzt der Fall Du hast 5 Stunden Zeit einem Laien die wichtigsten Grundsätze und Techniken der Buchbinderei beizubringen, was wäre eurer Meinung nach wichtig?
    Der Hintergrund meiner Grüblerei:
    seit ein paar Wochen gebe ich Buchbinderkurse im kleinen, eher privaten Rahmen und immer wieder kommen Situationen bei denen ich auf die einen Seite denke: "ach was, ist egal, das soll ja auch keine Facharbeit werden die ein Laie hier macht....."
    und auf der anderen Seite: " also wenn man sich der Laie schon die Mühe macht, dann soll es auch so perfekt wie möglich werden...."
    Mein bisher wichtigster Grundsatz: erkennen der Laufrichtung und präzise, saubere Arbeit. In Sachen Laufrichtung bin ich mir inzwischen nicht mehr ganz so sicher.
    Wie ist eure Meinung/Erfahrung dazu? 5 Stunden ist natürlich ein relativ kurze Zeit für soviel geballtes Wissen, welches man weitervermitteln könnte. Aber trotzdem...
    Wäre schön wenn alle mitmachen... Industrieler und Handwerkler und Interessierte.
    LG Papierfrau

  • Hallo Papierfrau


    Da hast Du Dir einiges vorgenommen. Bei meinen Kursen waren eigentlich nie die Themen das Problem. Bei mir ist immer die unterschiedliche Auffassungsgabe der Teilnehmer die Grenze gewesen.
    Deshalb habe ich meine Kurse im Verhältnis zu früher etwas geändert. Ich rede weniger und versuche entweder Bilder zu zeigen, oder praktische Arbeiten zu machen.
    Ein Beispiel: Wir erklären das Papier 40g bis 200g schwer ist, dann Karton 200g bis 300g oder so weiter. Oder Du hast drei kleine Muster für Papier, Karton (Schrenz) und Pappe. Jetzt brauchst Du nicht lange reden. Die Leute können etwas in die Hand nehmen und jeder begreift sofort was Du ausdrücken willst. Sie biegen und prüfen. Die gewonnene Zeit würde ich für Wasserspiele benutzen um den Leuten zu zeigen wie Feuchtigkeit Papier verändert. Denn der Zug ist für mich eine sehr wichtige Erfahrung. Alles was die Leute sehen und selbst machen bleibt im Kopf. Alles was Du erklärst ist nach 10 Minuten vergessen.


    Deine Frage hat mir auch etwas Spaß gemacht. Als ich begann Kurse zu geben, haben mir die älteren Kollegen geraten, mir einen Zeitplan zu machen. Bei uns dauern die Kurse meistens eine Woche. Und wenn man dann am Donnerstag nur den Stoff von Montag und Dienstag fertig hat, gibt es ein Problem.


    Es gibt bei solchen Kursen auch immer wieder Leerlauf. Du machst den Buchblock und dann wartest Du darauf, dass der Leim trocknet (der Heißlüfter hilft enorm). Also wird die Wartezeit für andere Arbeiten genutzt. Zum Beispiel Vorsatz vorbereiten, Decke machen, etc. Durch Deine Arbeit weißt Du ja was wann wie gemacht wird. Bei 5 Stunden ist das nicht anders. Es ist nur weniger.


    Die Themenwahl würde ich in erster Linie am Erfolg orientieren. Es ist besser wenn jemand nur ein Heft ordentlich und ganz anfertigt als ein halbes schlampiges Buch. Wenn es ein Vorgespräch oder eine Tasse Kaffee vor den eigentlichen 5 Stunden gibt, kannst Du ja abfragen was die Leute können. Die Handwerklichen Fähigkeiten bekommst Du im Kurs sowieso präsentiert. Während meiner Lehre stellte sich ein Jüngling bei meinem Chef vor. Er wollte Buchbinder werden. Mein Chef gab ihm freundlich die Hand und sagte er solle sich lieber einen anderen Beruf suchen. Der arme Kerl hatte so feuchte Hände, dass der Schweiß von fast herunter tropfte.


    Ich würde folgendes versuchen:


    Theorie
    Material wirklich oberflächlich erklären: Papier, Karton, Pappe, Leinen, Kapitalband.
    Laufrichtung
    Dehnung bei Feuchtigkeitsaufnahme und Schrumpfung bei Feuchtigkeitsabgabe
    Klebstoffe erklären: Arten, Zähflüssigkeit, offene Zeit
    notwendige Werkzeug erklären: Falzbein, Zollstock (Maßband), Schere, Pinsel


    Kurs für Bücher
    Klebebinden eines Buchblocks
    Vorsatzanfertigen und ankleben
    einfache Buchdecke (Ganzleinen oder mit Papier - wohlmöglich noch Buntpapier - bezogen) anfertigen.
    einfaches Kapitalband
    Block einhängen und Buch pressen


    Kurs für Kästen
    Pappen so zuschneiden das sie passen und ordentlich Kanten haben.
    Man kann auch vorgefertigt zugeschnittene Pappen bereitstellen, dann fällt die Diskussion mit den Maßen und dem Spiel, klemmen und passen des Deckels weg.
    rohen Kasten kleben
    Kasten beziehen


    Genug der klugen Sprüche. Ich bin sicher, dass Deine Kurse gut sind. Du strahlst Ruhe aus. Und die Kompetenz ist ja weit in den Wolken. Da muss ich mich unter dem Teppich verstecken und schämen.


    Viel Spaß beim Kurs
    Buntpapier

  • Hallo Buntpapier,
    danke für die Blumen! Ich hoffe so schlimm ist das nicht mit mir !! ;-)
    Die Kurse an sich machen mir kein Kopfzerbrechen. Ich hab lauter nette, handwerklich sehr geschickte Damen um mich ( bis jetzt). Das Hauptinteresse liegt bei den Meisten im Schachtelbau. Das hab ich auch fast so erwartet und zum Glück gibt es da ja endlos viele Varianten.


    Mein Problem ist eher, daß ich jeden Fleck, jede schiefe Kante und Ecke sehe ( auch bei meiner eigenen Arbeit) und dann abwägen muß: nochmal machen?... oder Auge zudrücken und *tricksen*? Wenn ich sage: das müssen wir nocheinmal neu machen, dann tun mir die Damen leid ( 'was, das Ganze nochmal???) und mein Sohn meint das wäre Menschenquälerei. Wenn ich nichts sage, dann sieht der Laie am fertigen Werk, daß es nicht so schön geworden ist wie ev. die Vorlage oder das "Wunschdenken" und ist enttäuscht.


    Desswegen tendiere ich eher zur strengeren Variante und dazu gehört meines Erachtens nach im Handwerk am Wichtigsten: die Beachtung der Laufrichtung und die saubere Arbeit.
    Wie ist das in der Industrie? Was zählt da? Schnelles, vorrausschauendes Arbeiten und ebenso millimetergenau ? Oder zählen da ganz andere Faktoren?

  • Hallo Papierfrau


    In der Industrie, um es gleich vorweg zu nehmen, zählt immer nur ein Grundsatz:


    Immer nur so gut wie es gerade sein muss. Aber bitte etwas schneller!


    Der Rest bedeutet dann mehr oder weniger Gewinn für den Unternehmer. Kann ich mein Produkt, meine Arbeit verkaufen ist die Welt in Ordnung. Bin ich nicht konkurrenzfähig verkaufen die anderen.


    Das mit dem Anspruch ist auch so eine Sache. Es gibt natürlich die zwei Welten von denen Du gesprochen hast.


    Strenge ist schon notwendig, sonnst treibt man Keinen zum Ziel. Aber das richtige Maß ist schwer zu ermessen. Jeder reagiert anders und Du kannst den Leuten nur vor den Kopf gucken.
    Ich kenne einen guten Arzt, der mich zusammen wirklich stauchte in dem er sagte: „Was Du denn schon wieder mit Deinem Herz gemacht.“ Ich habe das nicht verstanden. Und anstelle zu protestieren, oder zumindest nachzufragen war ich still und habe mich gewundert.


    Wenn man die guten alten Sprüche liest, dann kommt immer der Weg vor dem Ziel. Oder bei Laotse sogar der Weg als Ziel. Was ich sagen will ist, dass die persönliche Entwicklung ein sehr intimes Erlebnis ist. Man wird tief im Innern getroffen wenn etwas nicht funktioniert oder hoch gelobt wenn es gut war.
    Ich war in Hongkong und habe bei einem internen Gespräch also ohne einen Kunden und nur in einem Nebensatzgeäußert, dass die Vertretung wohl Mist gebaut hat. Danach wollte mich die Vertretung nicht mehr. Ich lag richtig mit meiner fachliche Beurteilung habe aber eine sechs für meine Äußerung bekommen.


    Beim kleinen Prinz heißt es: „Der König hielt in hohem Maße darauf, dass man seine Autorität respektiere. Er duldete keinen Ungehorsam. Er war ein absoluter Monarch. Aber da er sehr gütig war, gab er vernünftige Befehle. Wenn ich geböte, pflegte er zu sagen, wenn ich einem General geböte, sich in einen Seevogel zu verwandeln, und wenn dieser General nicht gehorchte, es wäre nicht die Schuld des Generals. Es wäre meine Schuld.


    Ein Kurs ist so etwas wie ein Weg. Du gehst den Weg zusammen mit Deinen Schülern.
    Und wie Du weißt gibt es alle Schattierungen im Kurs. Manchmal kommen Leute, die sich einfach nur präsentieren wollen. Das brauchen sie. Dann kommen Leute die unsicher sind. Das können sie (nicht anders). Und dann kommen wieder Leute die erschreckend sachlich und nüchtern sind.


    Ich muss Dir ehrlich schreiben, dass ich als Lehrer zu viele Vorurteile habe. Ich bin viel zu nervös. Die Fähigkeiten meiner Schüler schätze ich oft zu abwertend ein. Das ist eigentlich falsch und deshalb behalte ich das ja auch für mich.
    Für den Lehrer ist es nicht einfach den Schüler zu beurteilen. Und für den Schüler ist es nicht einfach gleich beim ersten Mal alles richtig zu machen. In 5 Stunden gibt es nicht die Zeit für den siebten Versuch.


    Wenn ich Pfarrer wäre würde ich wohl schreiben seid gnädig zu einander und bleib bei der Laufrichtung ;) .


    Buntpapier

  • Wegen dem nocheinmal machen: Du hast 5 h Zeit, da geht nicht viel nocheinmal. Die Qualität müssen (in meinen Augen) die Schüler bestimmen. Es sind erwachsene Leute und machen es zum Spaß. Du lieferst die Grundlagen und gibst Tipps, aber bestätigst am Ende keinen Lernerfolg.
    Ob die Ecken alle perfekt sind ist da nicht so wichtig, du kannst zeigen wo das Problem liegt und wenn die letzte Ecke dann (fast) perfekt ist wird es als Lernerfolg reichen.


    Ich hab in der VHS einen Kurs besucht da hat der Vortragende einfach gezeigt wie ein genähtes Buch gemacht wird und wir haben mitgemacht. Wie das Ergebnis ausgesehen hat wurde nicht bewertet. Ich hab irgendetwas falsch/ungenau gemacht und es halt auf eigene Entscheidung nochmals (fluchend) gemacht.

  • Halli Hallo Papierfrau,


    da ich selber so einen kleinen Kurs gemacht habe, denke ich: Laufrichtung , ja, unbedingt, am Besten ein paar Beispiele falscher Laufrichtung zeigen. Ob Perfektionismus weiter hilft, ich glaube dafür ist die Zeit zu knapp und Fehler(chen) können ja zum Lernen beitragen. Ich mache jedenfalls jedesmal andere *seufz*. Ist ja ein bißchen wie mit dem Führerschein, richtig fahren lernt man erst danach ;) .


    Liebe Grüsse

  • Danke für eure Meldungen! :)
    Buntpapier,
    Ja, das mit der Laufrichtung ist zumindest für meine jetzigen Kursteilnehmer das Schwierigste. (Manche tun sich auch mit dem Heften schwer.)
    Es gibt inzwischen viele Papiere die keine, bezw. kaum Zugkraft haben und auch zahlreiche Tricks wie man die Folgen falscher Laufrichtung korrigieren kann. Desswegen habe ich mir ja auch überlegt ob das Erkennen der Laufrichtung überhaupt noch so wichtig ist wie es früher mal war.
    @Georgius,
    das mit dem Nochmalmachen klappt natürlich in 5h nur im kleinen Schritt und nicht erst wenn das Werk schon vollbracht ist. Dafür habe ich aber einen Trick: meine Kursteilnehmer bekommen einen 2. Zuschnitt, Leim, Material und ein kleines Merkheft mit nach Hause... als Hausaufgabe sozusagen ;-). Wenn dann die eine oder andere trotz Merkheft nicht mehr weiterkommt gibt's ja Telefon und meine fast immerwährende Präsenz im Haus ( + Werkstatt) .
    @Lupsteiner,
    jo, die Zahl der möglichen Fehler ist so groß, daß man da ein Leben lang was davon hat :).

  • Je nachdem, ob die fünf Stunden der Unterhaltung oder dem Lernen dienen sollen.
    in letzterem Fall sollte man sich Zeit lassen, erst mal einen Überblick verschaffen und dann in die Tiefe gehen.
    Mit individueller Hausübung bis zu den nächsten fünf Stunden ...


    LG Andreas


    P.S.: Mt 6,24 - Niemand kann zwei Herren dienen.

  • Als "Unterhaltung" in dem Sinn ist nicht viel drin, denn die 5 h für das Arbeitspensum sind schon knapp bemessen. Aber die Überstundenbereitschaft ist da und so können wir uns gegen einen eventuellen Leistungsabfall mit Kaffee und Kuchen zwischenrein stärken. Soviel Zeit muß sein!
    LG Papierfrau

  • Ja, das Thema ist ziemlich eingestaubt.

    Vermutlich derzeit auch nicht coronakonform, sich mit vis-a-vis Workshops zu beschäftigen.

    Aus eigener Erfahrung sowohl als Teilnehmer als auch als Vermittler, Lehrer wäre das falsche Wort.

    Finde ich, das man durchaus zeigen soll/ muss, wie es richtig geht und ggf. auch auf grobe Fehler hinweisen.

    Was der/ die Einzelne daraus macht, ist dann kreative Freiheit.

    Bei Erwachsenen war und bin ich gern etwas strenger, da sie meist mit festen Vorstellungen teilnehmen.

    Kids bekommen kleines Basiswissen an die Hand und dürfen sich dann frei entfalten.

    Da ich finde, das der Spaß am Machen und Experimentieren für sie mehr zählt, als das perfekte Ergebnis.


    ... und aus Sicht des Teilnehmers eines mehrtägigen Workshops. (Ich bin als "Schüler" der Alptraum eines jeden Workshop-Leiters*in.)

    Zu dem Zeitpunkt hatte ich mir Vieles bereits autodidaktisch zu Hause angenommen.

    Habe ich immer brav zu gehört, was man als Buchbinder macht oder auch nicht macht.

    Vieles (für mich) hinterfragt und anschließend habe ich mein "Süppchen gekocht".

    Ich war desöfteren angeeckt und habe mir böse Blicke eingefangen.

    Aber meine Ergebnisse ließen dann nicht mehr viel Platz für Kritik. ^^


    Meine unorthodoxe Arbeitsweise hat auch leicht auf den einen oder anderen Teilnehmer abgefärbt. :whistling:

    Was mir aber erst im Nachhinein von Einzelnen mitgeteilt wurde.


    Um auf das eigentliche Thema zurück zu kommen.

    Wenn die Zuschnitte bereits vorbereitet sind, sind

    wichtige Eckpunkte für Anfänger unbestritten die Laufrichtung und die "Kleberfrage".

    Für mich desweiteren ein wichtiger Punkt für die "Hausaufgaben", die Licht- und Platzverhältnisse am Kreativplatz.

    Ohne Tageslichtlampe fange ich erst gar nicht an.

    Ggf. nutze ich noch eine zweite Lichtquelle um mögliche Schattenbildung zu verringern.